Zu „Anonymes Wasser“ und „Weide und Turm“

Ich bin in einem Land an der Donau geboren, in einer Ebene, umringt von sanften Hügeln an denen der Wein wächst, mit vielen Feldern – dem Tullner Feld. Der schönste Aufenthalt war für mich immer am Rande des Wasserlaufs, im niedrigen Schatten der Weiden, den Donauauen…

Es macht mir jetzt noch Freude, einen Strom zu begleiten, an seinen Ufern entlangzulaufen in der Richtung des Wassers, welches fließt, des Wassers, welches das Leben anderswohin trägt, in die nächste Stadt…

Doch die Heimat ist weniger eine ausgedehnte Fläche als ein Stoff; sie ist ein Granit oder eine Erde, ein Wind oder eine Trockenheit, ein Wasser oder ein Licht. In ihr materialisieren wir unsere Träumereien; durch sie bekommt unser Traum seine richtige Substanz… In meinen Träumen am Fluss habe ich meine Phantasie dem Wasser geweiht, dem grünen und klaren Wasser, dem Wasser, das die Wiesen grünen und den Wein blühen lässt. Ich kann mich nicht an einen Bach oder Fluss setzen, ohne in tiefes Träumen zu verfallen, ohne mein Glück wiederzusehen… Es muss nicht der Strom meiner Heimat zu sein und auch nicht das Wasser meiner Heimat. Das anonyme Wasser kennt alle meine Geheimnisse. Dieselbe Erinnerung steigt aus allen Quellen auf, wie das Spiegelbild, wenn ich ins Wasser blicke.

frei nach Gaston BACHELARD, L'Eau et les rêves






Natur ist wieder die reichste Quelle der Inspiration. Der Gestalter gibt auf Natur abzumalen, er erzeugt Natur in sich selbst, die über Kontemplation zur Natur- und Kunsterfahrung wird. Realismus und Abstraktion verschmelzen und geben einen illusionistischen Freiraum, der vom Gefühl des Malers bestimmt wird.






Wir glauben an keine Stimmen des Göttlichen mehr, die aus STEINEN und BÄUMEN zu uns sprechen könnten, längst vergessen und ins Reich des Aberglaubens verwiesen sind die Geister aus FLÜSSEN und BÄCHEN, nur mehr ferne Sage die unheimlichen Gespenster des WALDES und die Bewohner der unterirdischen Welten, wir fürchten keine zornigen Götter mehr, die sich uns in Sturm und Donner offenbaren.
Wir glauben die NATUR ein für allemal durchschaut zu haben und sind ihr deshalb vielfach fremd geworden. (Jacques Brosse – Mythologie der Bäume)

Der WIENERWALD gibt mir immer wieder die Möglichkeit, unspektakulär und in kleinen Schritten ein Stück von dieser verlorenen Identität zurückzuholen, jener Ganzheit und Vollkommenheit näher zu kommen, nach der sich unsere Sehnsucht immer heftiger verzehrt, in der ich John RUSKINs „VERWORRENE FORMEN“ und Jackson POLLOCK verstehen gelernt habe.

Und POLLOCK sagte: „Ich male wie die Natur.“ – und: „Ich bin NATUR!“.






„melon“

„melon“ (gr.) hatte einen größeren Bedeutungsumfang als „melum“ (lat.), denn es bezeichnete auch Kleinvieh, wie Schafe und Ziegen (das „Goldene Vlies“), aber beide Wörter wurden für exotische Früchte verwendet, die mehr oder weniger wie Äpfel aussahen, wie Quitten, Pfirsiche, Zitronen, Orangen, Früchte, die in der Sonne glänzten, die „Äpfel der Hesperiden“, also keine Bezeichnung für eine konkrete Obstsorte, sondern bezieht sich auf mythische Früchte, die „Früchte der Unsterblichkeit“. War es wirklich ein „Apfel“ der Schuld war an der Vertreibung von Eva und Adam aus dem Garten in die Welt?

siehe: Jacques BROSSE – Mythologie der Bäume – Patmos Verlag – Kap.8, S.246–254





„ZERO“

Die Zahl ist ein grundlegendes Prinzip, von dem die gesamte objektive Welt ausgeht; sie ist der Ursprung aller Dinge und die dem Universum zugrundeliegende Harmonie. Sie ist auch das universelle Grundprinzip der Proportionen in den bildenden Künsten und des Rhythmus in der Musik. Für Platon sind Zahlen die Harmonie des Universum; für Aristoteles war die Zahl „der Ursprung und sozusagen die Substanz aller Dinge, und sie stellt sozusagen ihre Affekte und Zustände dar“.


NULL = ZERO = NICHT–Existenz;
NICHT–Sein;
das NICHT–Manifestierte;
das UNBEGRENZTE;
das EWIGE;
das FEHLEN jeglicher Qualität und Quantität;
GRENZENLOSES Licht.


Für Pythagoras ist die NULL vollendete Form, die Monade, das, wovon ALLES ausgeht und worin ALLES enthalten ist. Die Null steht auch für das Welten-Ei; den uranfänglichen Androgyn; das VOLLSTÄNDIGE. Als ein leerer Kreis stellt sie sowohl das NICHT-Sein des Todes als auch die TOTALITÄT des Lebens dar, die beide im Kreis zusammengefasst sind. Als eine Ellipse gesehen, stehen die zwei Seiten für Auf- und Abstieg, Evolution und Involution.


ZERO = die Leere bzw. das NICHT–Sein
Der GEDANKE;
Das letzte MYSTERIUM;
Das unfassbare ABSOLUTE;
Das Wahre;
Reiner VISION gleich.


NATUR = KONKRET – real und abstrakt zugleich;
MIKRO– und MAKROKOSMOS;
PHYSISCHES und PSYCHISCHES


In unserer Zeit der NATURZERSTÖRUNG erlebt ZERO als ästhetisches Zeichen eine nahe Gratwanderung mit dem KRITIZISMUS. ZERO = wieder das GEWINNFELD;
= der ewige Apfelbaum.






„Sol y Sombra“

Text zu Stierkampfmappe mit 6 Radierungen – 1986

Als noch die Stiere – weiß oder schwarz – mit glänzendem Fell auf saftigen Wiesen, mutig voll Kraft strotzend, ihre muskulösen Körper durch die Welt trugen und Helios' Strahlen sie wärmten, waren sie, taten sie, lebten sie – reiner Vision gleich.
Der vom Zwischenstromland kommende Sechsbeinige beschützte sie, führte sie.
Pasiphae war es, die in leidenschaftlicher Liebe zu einem Stier verfiel und Weiß und Schwarz stiegen in den Ring. Hinter einem mit dicken Pfählen umzäunten Platz, Arenen gleich, kreischten Pasiphae und ihre Gespielinnen vor vergnügen und stachelten sie mit ihren Schreien an.
Weiße Spitzen fallen in den Sand, um zu ehren den Sieger, ihr Idol, den heiß Ersehnten.
Die Pica schreckt mit spitzem Stahl und Minotauros' Labyrinth wurde zu Encierros*.

Vulcanus' Knechte schmiedeten feine Klingen aus edlem Metall, um zu forcieren den Zweikampf der gefeierten Schlächter. Umtucht von Gold durchwirkter Seide und unter dem Widerhall der Fanfaren ließen sie ihren natürlichen Geruch, um bekränzt zu werden von des Eintopfs Gewürz. Der gehörnte Sechsbeinige erlebte sein Zero in der Unendlichkeit seines Schweigens. Die gallertige Masse der Gehirnganglien zersetzte sich in seine einfachsten und urtümlichsten, kosmischen Bestandteile und Lorbeer versank im Schlamm. Saftige Wiesen verwandelten sich in blutgetränkte Erde, Autumnos Farben leuchteten. Vor djeus'** Olympos verloren Spiele ihre Ästhetik.
Die Banderillas waren bunt bebändert und keiner dachte an der Mütter Tränen.

Nur einer dachte und irrte verzweifelt, zu entkommen den Encierros, um wieder zu finden die Querencia***, um sich wohl zu fühlen, zu ordnen, zu klären.
Doch Eos Strahlen währten nicht von langer Dauer und der Schatten des Kondor erfüllte den Raum.Der Muletta reizende Farbe verbarg das tödliche Stahl, das für kurze Zeit sichtbar wurde. Des gehörnten Moscheh marmorne Muskeln erschlafften und führten durch geschmolzenes Plumbum ins Paradies.Im Sol y Sombra wird ein eherner Sarkophag unter einem Triumphbogen errichtet. Fanfaren erschallen bis ins All und vereinigen Positivismus und Negativismus zu einem Nichts.

Der gehörnte Sechsbeinige träumt vom Zero, von saftigen grünen Wiesen, wo sie waren, taten, lebten…


* Einsperrungen
** Zeus
*** Abgesteckter Bereich des Stiers in der Arena, wohin er sich immer wieder zurückzieht, sich wohl fühlt.






„Schlacht“

Hommage an Oskar Kokoschka – Die Thermophylen – 1986

Im Schatten einer hundertjärigen Platane weideten Schafe, der Hirte entlockt der Panflöte liebliche Töne, die sich mit denen der Zikaden zu einer Symphonie vereinten. Die flirrende Luft trug sie über karges, felsiges Land, hin zu zerklüfteten Küsten, über schäumende Wogen, hin zu weit vorgelagerten Inseln, deren weiß getünchte Häuser herüberglänzten, zu der Idylle, die der Bedürfnislosigkeit Diogenes' entsprach.

Im Hof, den beherrschenden Raum des antiken Hauses lagen die Männer auf Liegen um den Tisch und ließen sich zu hausgebackenem Brot Oliven, Käse, Fisch, Gemüse und Obst reichen, tranken Wasser und Wein und hielten ihr Symposion. – „ Chaire! “

Die Würfel taten das ihre, wie geistreiche Gespräche im Wechsel mit Witzen und Rätsel, Tänze und Hetären sorgten für Unterhaltung. – „ Chaire! “

Im flackernden Licht der Öllämpchen erschien Dionysos, in seinem Gefolge weinlaubbekränzt Silen, Mänaden und Pan; Satyrn kelterten die Trauben, Akrobaten, Zwerge und Schauspieler der Komödie erheiterten die Gäste.
Das Haus erlebte seine Schönheit nach innen und der Herrscher des Äthers sah es, bis ein Schweigen zu Boden fiel.

Die Götter sind unsterblich und leben – unbeschwert und heiter…
Ares rief zu den Waffen und in die Augen der Frauen und Kinder trat Angst und Verständnislosigkeit. Literatur, Musik, Geometrie und Arithmetik, Astronomie, Sport und Spiel, aller Frohsinn gerieten in Vergessenheit – unsicher.
Harmonia, wie allein bist du im Hause!

Heilige Geste wurde gestreut und sie beugten zurück den Hals des Stiers und stachen, zogen die Haut ab, sonderten die Schenkel, umwickelten sie doppelt mit Fett, bedeckten sie dann mit Stücken der Glieder, brieten alles und aßen das nutzlose Opfer. Der geharzte Wein verdrängte ihre Gedanken an die Vergangenheit. Die Panzer wurden angelegt, die Waffen ergriffen – das Perpetuum mobile geriet in Bewegung.
Ornamente wurden zerstört…
Agamemnon, Leonidas, Xerxes, Hannibal, Caesar, Napoleon, Hitler führten sie in wütendes Kampfgetümmel – siebenjähriger Krieg, dreißigjähriger Krieg, hundertjähriger Krieg, immer Krieg; zerrissene Panzer, abgeschlagen Arme und Beine, Gehirne, geöffnete Leiber, Nährboden der Maden…
Der Papst fordert einen eintägigen Frieden!
Sonne, Wasser, Erde wurden in Kuranstalten verbannt, das Toben des Ares trug sie zu Grabe, Urnen wurden gefüllt und ein Himmel sank nieder.
Charon erlebte den Schweiß seines Tuns, Kerberos schärfte seine Augen…

Und da war einer, der nicht Geschichte leben wollte, doch einzig blieb die Öde.

Text zu gleichnamigen Triptychon – 1984 – Siebdruck/Kreide/Acryl – je 100x70cm






„Die Tonne“

Text zu Kohlezeichnungen aus Dalmatien – 1987

Südliche Sonne, gleißendes Licht und dalmatinischer Rotwein, voll im Geschmack, ließen mich die Schatten der uralten Olivenhaine, durchwirkt von dem Konzert der Zikaden, gelegentlich unterbrochen durch das Gezwitscher eines Vogels, vielleicht seinen eigenen Epos singend, aufsuchen, um mich in diese Harmonie, diese Vollkommenheit einzugliedern.

Die Stadt ist ein Riesentintenfisch und seine Tentakeln reichen bis hierher.

Und doch ist hier diese Schönheit, diese Kraft, die andere Gestalt angenommen hat, kein archaischer El, kein Salto mortale, der durch wütendes Heben des Gehörns zustande kam.

Die Kraft nahm andere Gestalt an: silbrig glänzende Blätter eines Olivenzweiges.

Peinigende Trauer und Empörung bemächtigte sich meiner, weil ich diesen Zweig nie malen werde, der in der Stadt zum Kitsch erklärt wird.

Mein Inneres rebellierte, denn Dionysos fragte nach meiner heiß geliebten Stadt, den Neonlichtern, den verrauchten Lokalen, den göttlichen Leibern der Renaissance – oder den Fratzen? – der sogenannten Kultur – der Gemachten!

…und Satyrn, Mänaden und Silene tanzten und ich tanzte um einen, mit aufgetürmten Karstgestein, arenenartig eingezäunten, huntertjährigen Olivenbaum, Staub aufwirbelnd, und sah plötzlich durch das blinkende Geäst etwas, das hier nicht her gehörte, etwas Geometrisches, das in diesem überwundenen Chaos keinen Platz hat: eine alte, verrostete Blechtonne…
War dies' etwa, hier an diesem idyllischen Ort, die Denkstube, die Ruhestatt, der Schatten des „Bedürfnislosen“?

Und ich liebte wieder die Luft, die mir Klarheit gab, das Licht, das mich wärmte; und der Tau gab mir Frische.

Wer seinen Naturalismus nicht erkannte und erlebte, begreift NICHTS!






„Der Salbei der Madeleine“

In der rue de Liège piekt eine Taube, eine in Lumpen gehüllte Alte, die unter einem Schaufenstersims schläft an den Füßen, als wollte sie sie wecken. Unter dem Dachsims des Jugendstilhauses ziert ein buntes Mosaikornament die Fassade. – Stil hat die Alte!
Ich beobachte dieses nach einer Nacht auf weicher Matratze – das Fleisch war warm – vom Balkon meines Hotels „Jardins de Paris“, das keinen Garten, dafür aber zu beiden Seiten neben der Eingangstür Kübel mit eingetopften Bäumchen hat.
In der folgenden Nacht bezieht die „Taubengeweckte“ gegen Mitternacht ihr Quartier, rückt ihre Plastiksäckchen, ihr Hab und Gut zurecht, zupft an ihrer zerschlissenen Kleidung, denn auch Stolz hat sie, die Pariserin – und schläft nach einigen kräftigen Schlucken aus der Flasche, müde, ermattet vom Betteln, von der Sinnlosigkeit ihres Lebens ein, neben Geknatter von Motoren.

Morgen wird sie wieder von einer Taube gepiekt werden…

Vom Place de la Concorde schlendere ich vorbei am Obelisque de Louqsor Richtung Madeleine. Mächtig der Bau schon von fern und bedrückend der Ruhmestempel der Grande Armêe in kaiserlichem Ausmaß von nah und beherrscht breit den Platz. Links und rechts des Treppenaufgangs silbergraue, grünfilzige und violette Blätter, welche überdimensionale Säulen vergessen lassen: SALBEI.

Dein Name Madeleine, sanft…

Ich zupfe ein paar Blätter von den Stauden und zerreibe sie zwischen meinen Fingern. Angenehmer, anregender Duft steigt mir in die Nase…
Angezogen von bunten Bilderfahnen, die an Leitungsdrähten hängend im Wind wehen, gehe ich in die rue Vignon. – Düfte aus Indien, China,… s a l v a r e*.
Abends noch erwärmt mich der Duft.

Am Ende der „Weißen Straße“ die „Rote Mühle“ – unattraktiv das Moulin Rouge – gewaltig die Mühle von Mondrian!
Ich esse scharfes Hühnercurry im Irish PUB am Boulevard de Clichy und trinke Bier. Vom Nebentisch empfange ich ein Lächeln, einladend, betörend; blaue Augen, rötliches Haar, in ihrer Unterlippe ein kleines Piercing – „Oiseau de feu“ – Salbei wirkt…
Sie erhob sich, ging mit einem feurigen Blick an mir vorbei, streifte sanft meinen Arm, wie eine Taube die piekt und – „krasni“ – ROT war ihr Kleid.

Morgen erst werde ich der Bettlerin in ihre toten Augen sehen und ihr SALBEI schenken…

*heilen, retten; wärmend, anregend

Paris – 2006